Ausbau der Erneuerbaren Energien beschleunigen

Ausbau der Erneuerbaren Energien beschleunigen
© IHK Mittlerer Niederrhein

Diese Meldung stammt aus dem Archiv und ist möglicherweise nicht mehr aktuell.

Stand: 12.04.2022

Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine sind Pläne für einen vorgezogenen Kohleausstieg 2030 unrealistisch. Stattdessen müssen Kapazitäten der Kohlekraftwerke im Rheinischen Revier länger als Sicherheitsreserve vorgehalten werden, um auf etwaige Engpässe bei Gaslieferungen reagieren zu können. Zu diesem Schluss kommt die Studie „Energiesicherheit im Kern- und Wirkungsraum des Rheinischen Reviers“, die von den Industrie- und Handelskammern Mittlerer Niederrhein, Aachen und Köln in Auftrag gegeben worden ist. „Vorfahrt für Versorgungssicherheit! Wir müssen einem Ausstieg aus der Braunkohle bis 2030 eine Absage erteilen.“ Mit diesen Worten fasste sagt Jürgen Steinmetz, Hauptgeschäftsführer der IHK Mittlerer Niederrhein, sein Fazit der Studie zusammen.

Bei der Festlegung des Ausstiegspfads aus der Kohleverstromung sei die Gasversorgung stets als sichere Back-Up-Lösung angenommen worden, so Steinmetz. „Diese Voraussetzung hat sich nun dramatisch geändert.“ Vor diesem Hintergrund müsse der Ausstiegspfad der Kohleverstromung im Hinblick auf die Versorgungssicherheit genau untersucht und bei Bedarf angepasst werden. „Bis Ende dieses Jahres sollen laut Kohleverstromungsbeendigungsgesetz im Rheinischen Revier gut 2,8 Gigawatt gesicherte und steuerbare Kraftwerksleistung abgeschaltet werden, ohne dass bisher nennenswerte Ersatzkapazitäten geschaffen wurden.“ Laut der IHK-Studie könnten die Braunkohlekraftwerke durch Verlängerung der Sicherheitsbereitschaft oder durch Anpassung des Stilllegungspfads bei Einhaltung des Ausstiegsdatums 2038 einen wichtigen Beitrag zur Gewährleistung der Sicherheit der Stromversorgung leisten.

Zudem müsse der Ausbau der Erneuerbaren Energien endlich massiv beschleunigt werden. „Laut den Studienergebnissen müssten rein rechnerisch bis zum Jahr 2038 wöchentlich zwei Windkraftanlagen im Rheinischen Revier in Betrieb genommen werden. Das wären rund 104 Anlagen im Jahr. Zum Vergleich: Laut dem Landesverband Erneuerbare Energien wurden im Jahr 2021 in ganz NRW lediglich 83 neue Windkraftanlagen in Betrieb genommen“, erläutert Steinmetz. Deshalb müssten unter anderem Planungs- und Genehmigungsprozesse vereinfacht und verkürzt sowie zügig Flächen für Erneuerbare Energien festgelegt werden, so Steinmetz. Bei der Ausweisung dürften die kommunalen Gebietskörperschaften von der Landesregierung nicht allein gelassen werden. Sonst seien die Ausbauziele nicht zu schaffen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Lage gewinnt der Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft weiter an Bedeutung. Unter der Annahme, dass die Erdgaspreise nachhaltig hoch bleiben, müssten bereits ab dem Jahr 2035 zur Vorhaltung einer gesicherten Leistung im Rheinischen Revier erste wasserstoffbetriebene Kraftwerke in Betrieb genommen werden.

Beim Strom sind Unternehmen aus Industrie und Gewerbe schon jetzt vermehrt von Netzschwankungen betroffen. In Experteninterviews beklagten sich im Rahmen der Studie mehrere von rund 50 befragten Unternehmensvertretern über eine Verschlechterung der Stromversorgungsqualität und -sicherheit. Teil dieses Problems ist, dass die sogenannte „gesicherte Leistung“ bei Photovoltaik-Anlagen 0 und bei Windkraft weniger als 10 Prozent beträgt, während sie bei Kohle- und Gaskraftwerken bei 90 Prozent liegt. Vor allem bei einer „Dunkelflaute“, also in Zeiträumen, in denen die Sonne nicht scheint und gleichzeitig weitgehend Windstille herrscht, sorgt die fehlende gesicherte Leistung von Photovoltaik- und Windenergie für Probleme im Netz. Zusätzlich wird es immer herausfordernder, die notwendige Spannung und Frequenz im Netz aufrecht zu erhalten. Denn auch dazu tragen die Braunkohlekraftwerke im Rheinischen Revier maßgeblich bei. Diese „Systemleistung” der Kraftwerke zu ersetzen, benötigt ebenfalls Zeit.

Bei der Transformation im Rheinischen Revier müssten deshalb nicht nur die erneuerbaren Energien massiv ausgebaut, sondern gleichzeitig müsse auch die Netzkapazität gesteigert werden. „Energie bildet das Fundament unserer industriellen Wertschöpfungsketten. Eine Verschlechterung der Versorgungssicherheit – selbst geringe Netzschwankungen – können zu erheblichen Produktionsausfällen und Anlagenschäden führen“, sagt Steinmetz. „Deshalb ist es enorm wichtig, auch während der Transformation unseres Energiesystems eine zu jeder Zeit sichere Versorgung zu gewährleisten.“

Die Wirtschaft sei aufgrund des sehr hohen Preisniveaus, vor allem aber aufgrund des sinkenden Vertrauens in eine dauerhaft sichere Energieversorgung äußerst beunruhigt, so der IHK-Hauptgeschäftsführer. Mit Blick auf die Diskussion um einen Boykott von russischem Erdgas stellt die Untersuchung fest, dass viele Unternehmen, die derzeit auf Gas für Prozesswärme angewiesen sind, ihre Produktionsprozesse nicht kurzfristig umstellen können. Sollten sie von der Gasversorgung abgeschnitten werden, müssten sie ihre Produktion einstellen. Dabei würden manche Anlagen irreversibel geschädigt. Schon allein deshalb sollte Gas nur dann zur Stromerzeugung eingesetzt werden, wenn es aus unterschiedlichen Quellen ausreichend zur Verfügung steht.

Die Untersuchung „Energiesicherheit im Kern- und Wirkungsraum des Rheinischen Reviers“ ist von der SME Management GmbH durchgeführt worden. Die Autorinnen und Autoren haben dafür eine Vielzahl von Studien zum Rheinischen Revier ausgewertet und rund 50 Vertreterinnen und Vertreter von vornehmlich mittelständischen Unternehmen aus den Bezirken der IHKs Mittlerer Niederrhein, Aachen und Köln befragt.

Die Studie ist abrufbar unter: www.mittlerer-niederrhein.ihk.de/28227

Bildtext: Sie stellten die Studie „Energiesicherheit im Kern- und Wirkungsraum des Rheinischen Reviers“ vor (v.l.): Dr. Uwe Vetterlein (Hauptgeschäftsführer der IHK Köln), Kurt Vetten (SME Management GmbH), Jürgen Steinmetz (Hauptgeschäftsführer der IHK Mittlerer Niederrhein) und Michael F. Bayer (Hauptgeschäftsführer der IHK Aachen). Foto: IHK Köln