Geopolitischer Kompass

Geopolitischer Kompass
© IHK Mittlerer Niederrhein

Die Unternehmen am Mittleren Niederrhein müssen sich immer stärker mit geopolitischen Risiken befassen. Dies geht aus einer Unternehmensbefragung der Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittlerer Niederrhein hervor, an der sich 200 Unternehmen aus auslandsaktiven Branchen beteiligt haben. 

Umfrageergebnisse

Geopolitische Risiken Diagramm 1

Für knapp zwei Drittel der Unternehmen aus Industrie, Großhandel und Logistik hat die Erfassung geopolitischer Risiken eine sehr hohe oder hohe Bedeutung, wenn sie ihre Auslandsmärkte überprüfen – für 19 Prozent sogar eine sehr hohe Bedeutung. Nur 11 Prozent messen geopolitischen Risiken keine oder eine sehr geringe Bedeutung zu.

Geopolitische Risiken Diagramm 2

Die geopolitischen Spannungen spitzen sich zu. Das gilt insbesondere im Verhältnis zwischen der Volkrepublik China und den USA. Die kürzliche Erweiterung der BRICS-Gemeinschaft (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) um sechs weitere Länder, unter ihnen Iran und Saudi-Arabien, kann als fortschreitende Lagerbildung gesehen werden – mit potenziell negativen Folgen für den Welthandel. Das wirkt sich auch auf die Unternehmen aus.

Ebenfalls zwei Drittel der Unternehmen rechnen damit, dass geopolitische Risiken in den nächsten fünf Jahren zu Problemen auf Bezugs- beziehungsweise Absatzmärkten führen werden. Nur 14 Prozent der Betriebe rechnen nicht damit. Immerhin ein Fünftel der Betriebe gibt zu, dies nicht beurteilen zu können. Das ist auch ein Indiz dafür, dass ein Teil der Unternehmen sich bislang nicht oder kaum mit dem Thema beschäftigt hat.

Geopolitische Risiken Diagramm 3

Da immer mehr Betriebe damit rechnen, dass geopolitische Risiken Einfluss auf Bezugs- und Absatzmärkte haben werden, haben 45 Prozent der Unternehmen – wo es möglich ist – ihre Lieferketten bereits diversifiziert. Weitere 18 Prozent planen dies. Diese Maßnahme zur Risikominderung wird nur durch die Stärkung der Cybersicherheit in Bezug auf den Kontakt mit geopolitisch nicht verlässlichen Ländern getoppt. Dieses Thema hat allerdings mittlerweile insgesamt, das heißt unabhängig von geopolitischen Risiken, eine hohe Relevanz für die Betriebe.

Immerhin gut 50 Prozent der Unternehmen betreiben beziehungsweise planen Friendshoring und Nearshoring, also den Bezug von Vorprodukten bei Unternehmen aus befreundeten Staaten beziehungsweise aus der Nähe. Während das Friendshoring insbesondere durch Kriege, Konflikte und mögliche Lagerbildung zu einer bedeutenden Maßnahme wird, dürfte gerade die Corona-Pandemie dazu beigetragen haben, dass mehr Unternehmen auf Nearshoring setzen. Seinerzeit waren viele transkontinentale Lieferbeziehungen zusammengebrochen.

Nicht alle auslandsaktiven Unternehmen unterliegen einem Sanktionsrisiko, entsenden Mitarbeitende in geopolitisch nicht verlässliche Staaten oder haben dort investiert. Deswegen ist der Anteil der Unternehmen, die bei den entsprechenden Risikominderungsmaßnahmen keine Relevanz sehen, überdurchschnittlich hoch. Dennoch ist auch bei diesen drei Maßnahmen der Anteil der Betriebe, die die Maßnahme umgesetzt haben oder eine Umsetzung planen, deutlich höher als der Anteil der Unternehmen, die die Maßnahme auf keinen Fall umsetzen möchten.

Geopolitische Risiken Diagramm 4

Auf sehr unterschiedliche Maßnahmen setzen die Betriebe am Mittleren Niederrhein, wenn es darum geht, das eigene geopolitische Risikomanagement aufzustellen. Drei Maßnahmen stechen heraus: der regelmäßige Austausch mit anderen Unternehmen, die regelmäßige Überprüfung der Risikobereitschaft des Unternehmens sowie die Schulung und Sensibilisierung von Mitarbeitenden. Diese Maßnahmen sind jeweils bei etwa 45 Prozent der Betriebe Bestandteil des unternehmensinternen geopolitischen Risikomanagements.

Aber auch in den Chefetagen führt das Thema zu neuen Anforderungen. In 28 Prozent der Betriebe bildet sich die Unternehmensleitung in diesem Bereich regelmäßig weiter, bei jedem fünften Betrieb sind geopolitische Themen in Führungs- und Strategiegremien fest verankert. Allerdings: Nur wenige Unternehmen haben ein geopolitisches Risikomanagementsystem mit klar definierten Zuständigkeiten, Prozessen und Anweisungen errichtet, kaufen regelmäßig externe Expertise ein oder etablieren einen Beauftragten für das Thema innerhalb des Unternehmens.

Geopolitische Risiken Diagramm 5

Die Maßnahmen zur Absicherung geopolitischer Risiken sorgen für immer höhere Kosten. Und das merken die Unternehmen ebenfalls. Bei 48 Prozent der Unternehmen sind die Kosten aufgrund der Maßnahmen zur Absicherung von geopolitischen Risiken gestiegen, bei 6 Prozent sogar stark. 46 Prozent der Unternehmen melden gleichbleibende Kosten. Kein einziges Unternehmen aus der Umfrage konnte die entsprechenden Kosten in den vergangenen zehn Jahren senken.

Geopolitische Risiken Diagramm 6

Aus Sicht der Unternehmen ist auch die Politik gefordert. Nur jedes neunte Unternehmen möchte, dass die Politik auf das Thema Außenhandel keinen Einfluss nimmt. Für mehr als 60 Prozent der Unternehmen sollte sich die deutsche Politik stärker für den Abbau von internationalen Handelshemmnissen einsetzen. Passend dazu fordert die Hälfte der Betriebe, dass ehrgeizige Handelsabkommen mit befreundeten Staaten beschlossen werden. Ein Drittel der Unternehmen macht sich zudem dafür stark, die multilateralen Regeln zum Beispiel innerhalb der WTO zu verbessern. 

10 Tipps für erfolgreiches geopolitisches Risikomanagement

1. „Geopolitische Risiken“ müssen als Thema der Unternehmensleitung verankert werden. Unterstützung erhält die Geschäftsführung dabei durch das betriebliche Risikomanagement und durch operative Unternehmenseinheiten. Falls vorhanden, assistiert vor allem die Public-Affairs-Abteilung.

2. Das Risikobewusstsein des Unternehmens sollte regelmäßig festgestellt werden: Welches (geopolitische) Risiko ist es grundsätzlich bereit einzugehen? Welches gilt es zu vermeiden? Immer dabei im Blick: die strategischen Ziele des Unternehmens. Und: Dieses Risikobewusstsein sollte im Unternehmen nicht nur allseits bekannt sein, sondern idealerweise von allen Mitarbeitenden mitgetragen werden.

3. Die Geschäftsleitung sollte für eine positive Risikokultur sorgen. Geopolitische Risiken müssen von allen Mitarbeitenden identifiziert und aufgezeigt werden dürfen. Sie dürfen dafür nicht als Bedenkenträgerinnen oder Bedenkenträger abgestraft werden.

4. Die für das Unternehmen relevanten geopolitischen Themen müssen festgestellt werden. Grundlage hierfür sind seine aktuellen und künftigen Absatz-, Beschaffungs- und Produktionsmärkte. Auf diesen Themen sollte der Unternehmensfokus liegen.

5. Die Unternehmensführung sollte sich in Bezug auf die identifizierten Fokusthemen geopolitisches Wissen aneignen beziehungsweise es ausbauen. Dieses Wissen kann im Unternehmen bereits existieren, zum Beispiel in den ausländischen Niederlassungen oder in Form von Feedback internationaler Kunden. Externe Quellen können Länderberichte, einschlägige Umfragen, Presseartikel und Expertenmeinungen sein.

6. Ein wichtiges Instrument kann der geopolitische Wissens- und Erfahrungsaustausch mit anderen Unternehmen in vergleichbarer Situation sein. Diesen können Unternehmen selbst initiieren oder entsprechende Angebote von zum Beispiel Kammern und Verbänden nutzen.

7. Die geopolitische Kompetenz sollte zudem unternehmensweit, zum Beispiel durch die regelmäßige Schulung von Mitarbeitenden, ausgebaut werden. Es sollte bei Neueinstellungen geprüft werden, ob die im Unternehmen vorhandenen betriebswirtschaftlichen oder technischen Skills nicht durch politikwissenschaftliche oder interkulturelle Kenntnisse sinnvoll ergänzt werden können.

8. Auf der Basis geopolitischer Kenntnisse sollten Szenarien im Rahmen der strategischen Planung in Bezug auf die Fokusthemen des Unternehmens gebildet werden.

9. Unternehmen müssen für die gebildeten geopolitischen Szenarien konkrete kurz-, mittel- und langfristige (strategische und operative) Maßnahmen entwickeln. Dies kann zum Beispiel die Diversifizierung beziehungsweise die Verlagerung von Zulieferstrukturen oder die Etablierung von Notfallplänen sein. Auch die Abwägung des eigenen Sanktionsrisikos und der Auf- beziehungsweise Ausbau einer länderspezifischen Cyber-Abwehr sind wichtige Themen.

10. Schließlich: Unternehmen sollten sich im Rahmen der strategischen Planung stets fragen, ob geopolitische Themen auch Chancen bieten. Je systematischer das Risikomanagement, je resilienter das Unternehmen, desto größter die Möglichkeit, von politisch getriebenen Veränderungen auf den Weltmärkten profitieren zu können.

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