Brexit

Brexit
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Stand: 20.06.2016

Sollten sich die Briten am 23. Juni gegen einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU aussprechen, würde das auch einen Austritt aus dem europäischen Binnenmarkt bedeuten. Zwar würde in diesem Fall eine zweijährige Übergangszeit eingeräumt, dennoch hätte ein Brexit nach Einschätzung der Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittlerer Niederrhein auch Konsequenzen für die Wirtschaft in Krefeld, Mönchengladbach, dem Rhein-Kreis Neuss und dem Kreis Viersen. „Eine mögliche Abwertung des britischen Pfunds gegenüber dem Euro und eine höhere Inflation könnten deutsche Produkte in Großbritannien verteuern und deren Absatz bremsen“, erklärt Stefan Enders, Leiter des Bereichs International der IHK Mittlerer Niederrhein. „Das kann letztlich auch Arbeitsplätze kosten.“

Kommt der Brexit, wird dies auch Folgen für die unternehmerische Praxis haben – davon ist Christoph Rochow überzeugt. Er ist Geschäftsführer des Krefelder Unternehmens Stromps + Co. GmbH Internationale Spediteure Transport-Kontor und Mitglied im Ausschuss für Verkehr und Logistik der IHK Mittlerer Niederrhein. „Die Abwicklung von Geschäften mit Großbritannien wird nicht so einfach und reibungslos verlaufen wie zu EU-Mitgliedszeiten“, sagt Rochow, dessen Unternehmen ein Spezialist für England- und Irland-Logistik ist. „Damit werden auch Kostensteigerungen verbunden sein, die der Attraktivität der deutsch-britischen Geschäftsbeziehungen schaden werden.“ Rochow geht von einem Rückgang des Handelsvolumens zwischen Großbritannien und
Deutschland aus. „In welchem Umfang der Handel leiden wird, hängt sicherlich davon ab, wie das Verhältnis der Handelpartner EU und Großbritannien künftig neu geregelt wird“, so der Unternehmer.

Großbritannien ist für die Unternehmen in Nordrhein-Westfalen und somit auch für die Betriebe am Niederrhein ein sehr wichtiger Handelspartner. 2015 exportierten die nordrhein-westfälischen Unternehmen Waren im Wert von 13,9 Mrd. Euro in das Vereinigte Königreich – ein Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr um 14 Prozent. Damit ist Großbritannien der drittwichtigste Exportmarkt Nordrhein-Westfalens. Gleichzeitig rangiert das Vereinigte Königreich auf Rang sechs der wichtigsten Importländer Nordrhein-Westfalens.

Im Bezirk der IHK Mittlerer Niederrhein sind 78 Unternehmen ansässig, deren Kapital aus Großbritannien stammt. Im vergangenen Jahr haben britische Investoren in Nordrhein-Westfalen in 26 Projekte investiert – vier davon am Niederrhein. Großbritannien rangiert damit auf Platz 5 der wichtigsten Investoren hinter Greater China, USA, Niederlande und der Türkei.

Laut einer Umfrage der Deutschen Auslandshandelskammer ( AHK) Großbritannien erwarten 80 Prozent der knapp 700 AHK-Mitgliedsunternehmen von einem Brexit negative Folgen für ihr Geschäft. Dagegen rechnen nur sechs Prozent mit positiven Effekten. Insgesamt würden 61 Prozent ihre Investitionstätigkeit im Vereinigten Königreich nach einem Austritt verringern, 7 Prozent würden mehr investieren.

IHK-Experte Enders betont, dass alle bisherigen Untersuchungen zu den Folgen eines Austritts Großbritanniens aus der EU auf Mutmaßungen beruhen: „Niemand weiß, wie die internationalen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und dem Rest der EU aussehen würden, sollte Großbritannien die EU verlassen. Das ist Gegenstand der dann anstehenden Verhandlungen.“

Die Änderungen für die deutschen Unternehmen würden erst in frühestens zwei bis möglicherweise vier bis fünf Jahren eintreten. Das Ausmaß der Veränderung würde zudem von der vereinbarten Regelung der künftigen Beziehungen der EU mit Großbritannien abhängen. Enders: „Verschiedenen Szenarien sind denkbar: Von einem harten Austritt, über ein Freihandelsabkommen bis zum Beitritt zum europäsichen Wirtschaftsraum.“ Aber selbst wenn im Rahmen eines etwaigen Handelsabkommens mit der EU auf Zölle verzichtet würde, käme auf die Unternehmen mehr Bürokratie zu. „Denn innerhalb der EU abgeschaffte Zollvorschriften würden bei Im- und Exporten mit Großbritannien wieder greifen“, erklärt Enders. „Dann müssten Unternehmen beispielsweise wieder förmliche Zollanmeldungen bei der Ein- und bei der Ausfuhr abgeben.“