Scheinselbstständigkeit & Rentenversicherungspflicht

Scheinselbstständigkeit & Rentenversicherungspflicht
© d-photodesign / Adobe Stock

Die gesetzlichen Regelungen über die „Scheinselbstständigkeit“ und die Rentenversicherungspflicht bestimmter Selbstständiger haben unter anderem zum Ziel, nur zum Schein als Selbstständige tätige Arbeitnehmer für die Sozialversicherung besser zu erfassen und bestimmte Selbstständige als Pflichtversicherte in die Rentenversicherung aufzunehmen.

Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen der soziale Schutz der Betroffenen dauerhaft sichergestellt und die Finanzgrundlagen der Sozialversicherung vor Erosion bewahrt werden.

Erfassung „scheinselbstständiger“ Arbeitnehmer

Als „scheinselbstständig“ gelten solche Erwerbstätige, die zwar den Status eines selbstständigen Unternehmers (freiwillig auf Wunsch ihres „Auftraggebers“ oder aus Unkenntnis) beanspruchen, deren Tätigkeit in Wirklichkeit aber der eines Arbeitnehmers entspricht.

Bei der Beurteilung des Status wird auf die Gesamtsituation im Einzelfall abgestellt. Erkennbares unternehmerisches Handeln und die freie Entscheidung des Unternehmers stehen dabei bei der selbstständigen Tätigkeit im Vordergrund. Als deutliche Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung werden eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers angesehen.

Für die rechtliche Einordnung ist die tatsächliche Durchführung ausschlaggebend.

Feststellung des Erwerbsstatus

Um das Risiko einer Fehleinschätzung auszuschließen, können die Beteiligten einen Antrag bei der Deutsche Rentenversicherung Bund stellen, damit der Status verbindlich festgestellt wird (Statusfeststellungsverfahren/Anfrageverfahren).

Seit dem 1. April 2022 wird durch die Deutsche Rentenversicherung nicht mehr geprüft, ob es sich um eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit handelt. Vielmehr wird der Erwerbsstatus verbindlich festgestellt. Es obliegt dann dem Arbeitgeber zu ermitteln ob auf Grund des festgestellten Erwerbsstatus eine mögliche Versicherungspflicht besteht.

Der Antrag kann auch schon vor Aufnahme der neuen Tätigkeit gestellt werden. Hierfür müssen der Deutschen Rentenversicherung die vertragliche Vereinbarung sowie die beabsichtigten Umstände der Vertragsdurchführung mitgeteilt werden. Zu beachten ist hierbei, das gegenüber der Deutschen Rentenversicherung eine Mitteilungspflicht besteht, sofern sich innerhalb eines Monats nach der Aufnahme der Tätigkeit wesentliche Umstände für die Vertragsdurchführung ändern. Die Prognoseentscheidung kann dann durch die Deutsche Rentenversicherung aufgehoben werden.

Geändert sind zudem die Möglichkeit von Gruppenfeststellungsverfahren sowie die Feststellung des Erwerbsstatus im Dreiecksverhältnis.

Bei dem Gruppenfeststellungsverfahren entfällt die Notwendigkeit bei mehreren Auftragsverhältnissen auf Grund einheitlicher Vereinbarungen einzelne Anfrageverfahren durchzuführen. Bei dem Gruppenfeststellungsverfahren handelt es sich allerdings nur um eine gutachterliche Äußerung. Dies bedeutet, dass weder die Deutsche Rentenversicherung noch Andere an das Ergebnis gebunden sind. Innerhalb eines Dreiecksverhältnisses erfolgt eine umfassende Beurteilung des Beschäftigungsverhältnisses inklusive der Feststellung zu wem das Beschäftigungsverhältnis besteht.

Die Deutsche Rentenversicherung Bund entscheidet über den Erwerbsstatus aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles. Widerspruch und Klage haben aufschiebende Wirkung. Innerhalb des Widerspruches gibt es nun mehr auch die Möglichkeit einer mündlichen Anhörung, sofern der Widerspruch bereits begründet ist.

Die Deutsche Rentenversicherung Bund entscheidet dann aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles. Wird der Antrag auf Feststellung des Erwerbsstatus innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit gestellt und stellt die Deutsche Rentenversicherung Bund eine Beschäftigung fest, gilt der Tag der Bekanntgabe der Entscheidung als Tag des Eintritts in das Beschäftigungsverhältnis, wenn der Beschäftigte zustimmt und er für den Zeitraum zwischen Aufnahme der Beschäftigung und der Entscheidung eine Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit und zur Altersvorsorge vorgenommen hat, die der Art nach den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung entspricht. Die Deutsche Rentenversicherung Bund stellt den Zeitpunkt fest, der als Tag des Eintritts in das Beschäftigungsverhältnis gilt.

Konsequenzen der „Scheinselbstständigkeit“

a) Sozialversicherungsrechtliche Folgen

Wird in einem weiteren Verfahren auch sozialversicherungsrechtlich der Arbeitnehmerstatus festgestellt, hat der bisherige Auftraggeber als Arbeitgeber die üblichen Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an die gesetzlichen Krankenkassen abzuführen und den Arbeitnehmer dort als solchen anzumelden. Die Kranken- und Pflegeversicherungspflicht richtet sich nach der jeweiligen Versicherungssituation (unter anderem Höhe des Einkommens, aktuelle Beitragsbemessungsgrenze).

Zu beachten ist, dass der Arbeitgeber unter Umständen die Sozialversicherungsbeiträge für die letzten vier Jahre nachzahlen muss, er im Regelfall von dem Arbeitnehmer aber nur drei Monate lang einen Teil des Gehaltes einbehalten darf. Abweichende Regressregelungen zwischen den Parteien sind unwirksam!

b) Arbeitsrechtliche Folgen

Wird ein Erwerbsstatus festgestellt, so kann der „Scheinselbstständige“ seine Arbeitnehmerrechte wie Kündigungsschutz, Urlaubsanspruch, Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall geltend machen.

c) Steuerrechtliche Folgen

Die Veränderung der Verhältnisse kann auch steuerrechtliche Konsequenzen haben. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer haben dann die neue Situation gegebenenfalls steuerrechtlich nachzuvollziehen und haften für die Nachzahlungen als Gesamtschuldner, sie können also beide zur Zahlung der Außenstände in voller Höhe aufgefordert werden.

Da dies Einzelfallbetrachtungen sind, empfiehlt es sich, einen Steuerberater hinzuzuziehen und sich mit dem zuständigen Finanzamt abzustimmen. Finanzämter können eine eigene Prüfung vornehmen und sind nicht an die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung gebunden. Demnach besteht die Gefahr, dass die Finanzämter im Rahmen der Einzelfallbetrachtung zu einem anderen Ergebnis kommen. Es besteht jedoch nach § 42 e EStG die Möglichkeit ein Anrufungsauskunftsverfahren durchzuführen. Danach hat das Finanzamt auf Anfrage Auskunft über die steuerrechtliche Bewertung zu erteilen.

„Scheinselbstständige“ müssen beachten, dass sie als Arbeitnehmer den lohn-/einkommensteuerrechtlichen Regelungen unterliegen und durch diese Tätigkeit fortan keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb mehr erzielen. Darüber hinaus schuldet der vermeintliche Auftragnehmer gegebenenfalls die auf seinen bisherigen Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 2 UStG, während ein Vorsteuerabzug für den Auftraggeber (der in diesem Fall wie ein Arbeitgeber zu behandeln ist) nicht in Betracht kommen würde.

Die Berichtigung der Rechnung ist möglich, soweit der Aussteller der Rechnung den unberechtigten Steuerausweis gegenüber dem Empfänger für ungültig erklärt und die Gefährdung beseitigt wurde. Eine derartige Beseitigung liegt vor, wenn der Vorsteuerabzug nicht durchgeführt wurde oder die geltend gemachte Vorsteuer an das Finanzamt zurückgezahlt wurde.

d) Gewerberechtliche Folgen

Spätestens mit Feststellung des Erwerbsstatus endet auch die unternehmerische Tätigkeit für das betriebene Gewerbe. Dies heißt, das Gewerbe muss abgemeldet werden. Auch die gesetzliche Mitgliedschaft in der Industrie- und Handelskammer und die gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der Berufsgenossenschaft enden zu diesem Zeitpunkt.

Rentenversicherungspflichtige Selbstständige

Ist ein Unternehmer echter Selbstständiger, beschäftigt aber regelmäßig keinen versicherungs-pflichtigen Arbeitnehmer und hat er im Wesentlichen nur einen Auftraggeber, ist er auch als Selbstständiger rentenversicherungspflichtig, so die Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VI. Er hat seine Beiträge in vollem Umfang selbst zu zahlen und sich sofort beim zuständigen Rentenversicherungsträger anzumelden.

Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts (B 12 RA 15/04 R vom 23.11.2005) reicht es aus, wenn statt eines sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmers mehrere geringfügig Beschäftigte angestellt sind, wenn die Arbeitsentgelte zusammengerechnet die Geringfügigkeitsgrenze (derzeit 538 Euro im Monat bzw. 6.456 Euro im Jahr) überschreiten.

„Im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber“ ist nach der Faustregel gegeben, wenn 5/6 der Betriebseinnahmen über einen Auftraggeber generiert werden.

Es gibt nur wenige Möglichkeiten, sich von der Rentenversicherungspflicht befreien zu lassen:

  • Der Antragsteller ist Existenzgründer: Er wird für die Dauer von drei Jahren nach Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit von der Rentenversicherungspflicht befreit. Die Befreiung wirkt vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrags an.
  • Der Antragsteller hat das 58. Lebensjahr vollendet: Er wird vollständig von der Rentenversicherungspflicht befreit, wenn er bereits selbständig war und die Versicherungspflicht erstmalig aufgrund der Neuregelung zur rentenversicherungspflichtigen Selbstständigkeit eingetreten ist. Die Befreiung wirkt vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten be­antragt wird, sonst vom Eingang des Antrags an.

Sonderfall: geschäftsführende Gesellschafter

Auch selbstständig tätige geschäftsführende Gesellschafter einer juristischen Person können nach der oben beschriebenen Regelung rentenversicherungspflichtige Selbstständige sein. Für die Beurteilung der Versicherungspflicht kommt es darauf an, ob die Gesellschaft (und nicht der Gesellschafter) im Wesentlichen nur einen Auftraggeber hat beziehungsweise ob die Gesellschaft sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer beschäftigt. Nachdem das Bundessozialgericht dies zur früheren Gesetzeslage anders entschieden hatte, ist eine entsprechende Klarstellung im Gesetz erfolgt.

Sonderfall: Handelsvertreter

Mit dem Wegfall der Vermutungskriterien ist auch die Ausnahmeregelung für Handelsvertreter hinfällig geworden. Entscheidend für die Frage ihrer Selbstständigkeit ist damit, ob sie ihre Tätigkeit im Wesentlichen frei gestalten und über ihre Arbeitszeit bestimmen können (§ 84 Abs. 1 S. 2 Handelsgesetzbuch). Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, können auch Handelsvertreter „scheinselbstständig“ sein.

Indizien dafür sind beispielsweise Umsatzvorgaben, eng angelegte Kontrollen des Auftraggebers, Pflichtanwesenheit, vorgegebene Pflichttermine bei Kunden, Tourenpläne, Urlaubsabstimmung mit dem Auftraggeber sowie das Verbot, Angestellte einzustellen.

Auch ein Handelsvertreter kann ein „rentenversicherungspflichtiger Selbständiger“ sein (zu den Voraussetzungen siehe oben).

Hinweis
Die Abgrenzung zwischen Selbstständigen, rentenversicherungspflichtigen Selbstständigen und „Scheinselbstständigen“ bleibt schwierig. Viele Einzelfälle und strittige Punkte werden weiterhin von der Rechtsprechung anhand der bisherigen Kriterien zu klären sein. Dabei kann das Ergebnis der arbeitsrechtlichen Prüfung die Auftragnehmerstellung sein, während die sozialversicherungsrechtliche Prüfung derselben Person den Arbeitnehmerstatus zuspricht, verbunden mit der entsprechenden Sozialversicherungspflicht.

Insbesondere Existenzgründer sollten sich innerhalb von drei Monaten nach der Aufnahme der Geschäftstätigkeit an die Deutsche Rentenversicherung Bund wenden und schriftlich einen Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht stellen, wenn dies gewünscht ist.

Ist eine verbindliche Klärung bezüglich des Erwerbsstatus gewollt, sollte bei der Deutsche Rentenversicherung Bund innerhalb von einem Monat nach Aufnahme der Beschäftigung ein Antrag auf Feststellung gestellt werden.

Deutsche Rentenversicherung Bund
10704 Berlin
Service-Telefon: 0800/1000 480 00
Antragsvordrucke und Infomaterial